Vor einigen Tagen sorgte dieses Mini-Diorama von Steve Warrilow für ein bisschen Aufruhr in der Modellbauwelt. Zwei auf einem Schiffsdeck verzurrte Harrier im Falklandkrieg, im Sturm von Wellen umspült, alles in 1/72. Sofort wurden Rufe laut, das sei schön gemacht, aber unrealistisch, nicht glaubwürdig. Darf man sowas bauen? Darf man sowas zeigen? Und muss man dann solche Kritik ertragen?

Was Steve hier zeigt, ist ein Werk des Impressionismus. Die gefühlte Wahrnehmung, der Eindruck ist wichtig, nicht so sehr die nackte Realität. Natürlich sind solche Wellenberge auf einem Trägerdeck eher unwahrscheinlich. Aber der Eindruck von einem richtig üblen Sturm setzt sich beim Betrachter fest, er fühlt den Wind, die spritzende Gischt. Er wird in die Szene hineingezogen, die Vignette erzeugt ein Gefühl, eine Reaktion.

Die Diskussion um Realismus und Impressionismus ist so alt wie die Kunst selbst. Nehmen wir als Beispiel die Laokoon-Gruppe aus dem 1. Jahrhundert. Sieht so ein Kampf gegen eine Schlange aus? Warum muss man dazu nackt sein? Warum sind die Söhne wie Männer proportioniert, aber nur halb so groß wie Laokoon? Wenig glaubwürdig. Dennoch vermittelt die Skulptur den Eindruck von höchster Anspannung, dem Kampf um Leben und Tod, und der Aussichtslosigkeit eben dieses Kampfes.

Das ist es, was Kunst ausmacht. Sie erzeugt eine Reaktion, einen Eindruck, ein Gefühl beim Betrachter. Dazu bedient sie sich gerne der Überspitzung, der Übertreibung.

Noch ein Beispiel. Bell Rock Lighthouse von William Turner. Keiner würde sich über zu hohe Wellen, Schiffe viel zu nah am Turm und verwaschene Pinselstriche beschweren. Das Gefühl von Unwetter, Sturm, Gischt und Lebensgefahr zählt.

Kommen wir zurück zum Modellbau. Modellbauer sehen ihr Hobby ja manchmal auch gern als Kunst. Das kann Modellbau auch sein, wenn er es schafft, einen Eindruck beim Betrachter zu erzeugen. Nacktes Abbilden der Wirklichkeit reicht dazu meist nicht.

Schlimmer noch – Herumreiten auf Realismus („Da fehlen aber drei Niete“, „Da wäre nie so viel Wasser“) verkennt die künstlerische Absicht des Modellbauers. Am Beispiel von oben: Der Erbauer weiß auch, dass da verdammt viel, vielleicht zu viel Wasser übers Deck schwappt. Er hat es trotzdem so gebaut, um dem Sturm Leben einzuhauchen. Nicht, um zwei Harrier darzustellen. Um einen Orkan zu zeigen, gegen den alles menschliche Tun zwecklos erscheint.

Daher finde ich es so schade, wenn die Reaktion auf ein bewusst impressionistisches Werk ist, Defizite bei der Wirklichkeitstreue aufzuzählen. Gerade das macht das Modell ja aus. Deswegen ist es anders als all die Foto-Nachbauten etwas Besonderes.

Nichts ist langweiliger als Realismus.

Christian Höcherl, Berlin (Oktober 2024)

4 Kommentare zu diesem Beitrag
  1. Aha, jetzt geht es also. war zuvor wohl nicht als “Mensch” angesehen worden, hihi.
    meine Meinung wäre jetzt folgende dazu. ich würdige wohl den wohl letztlich unlösbaren Aufwand fließendes Wasser im Modell darzustellen. Also völlig unmöglich natürlich nicht. Eine Plexiglashaube und versteckte Schläuchlein und Röhrchen sowie eine Pumpe zur Bewässerung von Zimmerpflanzen würde es zustande bringen. Gab’s vor einiger Zeit mal bei so Pflanzen mit kleinem Springbrunnen. Doch das ist dann wohl bereits etwas zuu viel Aufwand. Andererseits ist es aber schon auch mainstream ganz, ganz realistisch und authentisch sein wollen zu müssen! Also jede base würde doch am Besten noch einzelne Sandkörner, Grashalme usw. haben wollen sollen. Das hat sich in den letzten Jahrzehnten halt so eingebürgert. Authentizität halte ich deswegen im Plastikmodellbau für unerlässlich, falls man Wettbewerbe gewinnen will usw., sowieso. Doch man sollte auch experimentieren dürfen, auch. Von daher jetzt kein schlechter Ansatz und den Versuch war es wert. Die Gischtfontänen halte ich für großartig gelungen wenn sie jetzt auch etwas an Spinnweben-Gespinst erinnern mögen. Die Stürzbäche am Flugdeck sind dann leider aber etwas zu statisch, doch soll es erst einmal Einer besser mache, hihi.

  2. Ich finde das Diorama der Sea Harrier schlichtweg genial. Wer die Aufnahmen des Falklands-Kriegs gesehen hat, der weiß, dass das durchaus realistisch ist.

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