Piper Cheyenne / Cheyenne II / Cheyenne II XL

Gremlin-Resinkomplettbausätze 1:72

Stiefmütterlich besetzt ist das Thema 72er Zivilflugzeuge im Modell. Das ist um so unverständlicher, weil fast jede Luftwaffe dieser Welt Cessnas, Pipers, Zlins oder Beech-Maschinen für Ausbildungszwecke oder als Verbindungsflugzeuge einsetzt - insofern hier „eigentlich“ für die Produzenten auch allerlei militärisches „Potenzial“ für Absatzstückzahlen vorhanden sein müsste. Wenn man die alten LS-/Arii-Kits weglässt, ist es eigentlich nur A-model aus der Ukraine die sich zielgerichtet diesem Thema widmen. So gibt es hier die komplette Jak-18/-50/-52-Reihe. Ein gleich auftauchendes nächstes Problem sind Unterlagen für Modellbauer. Wahrscheinlich kann sich kein Me 109-Freak vorstellen, dass es - außer den Darstellungen in den Werksprospekten - nicht mal ordentliche Risse einer Cessna 172/150, geschweige den Typenhefte oder ähnliches darüber gibt! Deswegen hat TOM-Modellbau jetzt die Typenschau-Reihe (TSR) begonnen um diese Marktlücken zu schließen.

Im Bereich der Zivil-/Sportflugzeuge und Militärtrainer sind allerdings noch Resinfirmen wie Legato (CR), Dujin (F), Rug Rat Resin (GB) und einige Vacu-Hersteller wie Broplan (Polen) oder für richtige Airliner Aircraft in Miniature aus GB tätig.

Ein Novum ist in diesem illustren Reigen der Hersteller Gremlin aus Zrenjanin in Serbien und Montenegro. Dieser hat 2001 sein erstes ziviles Resin-Modell vorgelegt: eine Cessna 441/Conquest II. Seit 2002 hat man die Reihe von zumeist zweimotorigen Piper- und Cessna-Typen konsequent ausgebaut. Die Gremlin-Kits sind hierzulande zwischenzeitlich stabil über BuyAmodel.com oder bei Hannants zu beziehen. Dies sollte Grund genug sein, um sich mit diesen exotischen Resinmodellen zu befassen.

Zur Modellvorstellung gibt es zunächst auch kurze Exkurse zu den Originalen, da die Bauanleitung hierzu keinerlei Aussagen macht und die Recherchen in der „Fachliteratur“ recht nervig sind. Die einzig wirklich brauchbaren Quellen stellen die extrem seltenen und teuren JANE's - „All The World's Aircraft“ - Jahrbücher dar. In diesem Falle braucht man am besten welche aus den 70er-Jahren... Ansonsten findet man gute Fotos der Originale bei Airliners.net - hier kann man darüber hinaus nach militärischen oder Regierungsmaschinen suchen lassen - eine echte Fundgrube für Modellbauer!

Der Ausgangspunkt dieser Piper-Familie wurde ab 1961 mit der PA-31 Navajo (1785 gebaute Maschinen) und den mit Druckkabine (pressurized - P) ausgestatteten PA-31P Navajo/Mojave (309 Einheiten) einen exzellenten Sechs- bis Achtsitzer mit 1 + 1 Piloten gelegt, Unterschiedliche Kolbenmotoren, auch solche mit Turboaufladung, trieben die verschiedenen Baureihen an. Schon 1965 gab es erste Tests mit PT-6 Propellerturbinen, die 1972 in einer PA-31T Turbine Navajo mündeten. Diese wurde ab 1974 dann schließlich Cheyenne genannt. Mit dieser Maschine beteiligte sich Piper übrigens auch 1975/76 an der Ausschreibung für das VTAM(X)-Programm der U.S. Navy. Das Air Training Command suchte ein modernes mehrmotoriges Trainingssystem zur Ablösung der Grumman S-2. Den Kontrakt für diese T-44 bekam allerdings Bechcraft mit seiner B90 King Air. Dennoch gelangten Turbinen PA-31Ts in die Armeen von Argentinen, Bahamas, Chile, Kolumbien, Costa Rica, Dominikanische Republik, Finnland, Guatemala, Honduras, Peru, Schweden, Syrien, Großbritannien und den USA. Insgesamt wurden von den sechs bis achtsitzigen Modellen PA-31T Cheyenne I/IA 215 Stück und von der Cheyenne II 526 Maschinen hergestellt. Darunter waren 1980 auch zwei spezielle Marineüberwachungsflugzeuge für die Force Aérienne Islamique de Mauritanie (Mauretanien). Sie erhielten einen Zusatztank und ein größeres Radar im Bug, FLIR und zwei Kamerapods zur Schiffsbeobachtung. Von der knapp 70 cm verlängerten und auf jeder Seite ein zusätzliches Rumpffenster besitzenden Cheyenne IIXL (Dreiseitenriss) wurden ab 1979 noch 82 Exemplare im Werk Lock Haven hergestellt.

Genau diese Fenster sind es dann auch, an denen sich die Gremlin-Kits „äußerlich“ unterscheiden. Und dies in Form der beiliegenden „adhesive masks“ zum Abkleben der jeweiligen Versions-Fenster. Diese kennt man von der Fa. Eduard, und sie sind hier für das jeweilige Vacu-Klarsichtteil der Rumpfoberseite. An sich gut gedacht, ist dies aufgrund des labilen Materials und der Gesamtkonstruktion alles in allem ein Fall für den vorzugsweise fortgeschrittenen Modellbauer. Gut, dass diese Kabinenteile jeweils zweimal vorhanden sind. Das XL-Modell (in den Zusammenstellungs-Fotos jeweils unten) mit Decals/Fensterstreifen für die US-Kennung N28WN hat natürlich auch den längeren Rumpf der XL-Version. Die Tragfläche mit dem erst 1978 zertifizierten Tip-Tank und alle anderen Bausatzteile sind jeweils gleich. Letztere haben übrigens erheblich Grat und versprechen reichlich Nacharbeit. Im Kit der Cheyenne II (immer Mitte sowie Einzelfoto) gibt es Decals für die damalige Flight Academy der JAT. Noch heute existiert sie als Jugoslovenski Aerotransport/Yugoslav Airlines. Die 20 Prozent größere Windschutzscheibe (ab Baujahr 1980) und die größeren seitlichen Cockpitfenster (ab 1977) liegen diesmal als Abklebemasken bei. Demzufolge hat der normale Cheyenne-Kit (oben in den Fotos) sämtlichst die früheren kleinen Fenster, inklusive des „overhead pilot window“ zum Abkleben. Der Decalbogen mit Fensterstreifen und „Enteiser-Vorderkanten“ zeigt nun die US-Kennung N181DC mit dem Namen „Clipper II“.

Alles in allem sind die Kits von Gremlin gut recherchiert und richtig, doch wohl eher etwas für Spezialisten, nicht nur wegen des hohen Preises. Schade, dass dieses Modellbaugebiet ansonsten von anderen Herstellern kaum aufgegriffen wird. Sind doch nicht nur eine Reihe von zivilen, sondern auch eine Menge militärischer Abarten oder Versionen dieser Typen möglich. Leider hat auch die Zubehör- oder Decalindustrie diese Lücke noch nicht entdeckt. So dürfen wir weiterhin gespannt auf Gremlin und deren angekündigte neuen Kits blicken.

Detlef Billig, Berlin (Quelle: ModellFan 06/2005)