Russland und die spätere Sowjetunion (bis zu einen gewissen Zeitpunkt) waren bekannt dafür, dass sie einen Teil ihres technischen Wissens aus dem Ausland bezogen. Zunächst aus Europa und in der Zeit der "Neuen Ökonomischen Politik" (NÖP) unter Lenin, auch aus den USA. Mit der sogenannten "Neuen Ökonomischen Politik", die Privateigentum an Produktionsmitteln und somit kleine Kapitalisten wieder zuließ, versuchten die Bolschewiki massive Fehler im Vorgehen gegen die Privatwirtschaft zu korrigieren und die fast zusammen gebrochene Versorgung der Bevölkerung in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wieder in Gang zu setzen.
Da die Sowjetunion ein riesiger Markt für ausländische Produkte war, gelang es den Sowjets gemeinsam mit einflussreichen amerikanischen Wirtschaftspraktikern Mitte der 20er Jahre in Verhandlungen mit der amerikanischen Regierung deren Vorbehalte teilweise auszuräumen und wirtschaftliche Kontakte aufzubauen.
Besonderes Interesse hatten die sowjetischen Regierungsstellen an technischen Produkten, die Schwachstellen in der sowjetischen Entwicklungs- und Produktionskapazität ausgleichen konnten. Man darf nicht vergessen, dass der sogenannte "Revolutionäre Terror" der Bolschewiki einen Großteil der Intelligenz aus dem Zarenreich vernichtet hatte bzw. ins Exil trieb. Die Wissenschaftler, die im Lande blieben, reichten aber nicht aus, um die umfangreichen Aufgaben bei der Neuordnung der Wirtschaft zu erfüllen und geeigneter Nachwuchs war noch lange nicht ausgebildet. Also musste man den Weg der Zusammenarbeit mit dem Ausland gehen. Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass sich die Sowjets nicht vorrangig für amerikanische Höchstleistungen interessierten, sondern einfache, robuste technische Lösungen suchten, die mit relativ wenig Aufwand zu produzieren, zu betreiben und zu warten waren.
Auf dem Sektor des Automobilbaus kam man 1928 mit den Ford - Automobilwerken (Ford A, AA und AAA) sowie mit der Autocar Company ins Geschäft. Die Fahrzeuge von Ford, die eine Ladekapazität von 1,5 t hatten, wurden, nebenbei bemerkt, in der UdSSR unter der Bezeichnung GAZ (Gorkier Auto Werk) bis 1945 in bedeutend größeren Stückzahlen gebaut, als der "große Bruder" von Autocar, der 2,5 t laden konnte.
Im Dezember 1928 wurde ein entsprechender Vertrag unterzeichnet, der die Lizenzproduktion des "Autocar Model CA" im Moskauer Autowerk AMO ermöglichte. In diesem Werk, das noch aus der Zarenzeit stammte, wurden LKW von FIAT aus der Zeit des 1. Weltkrieges als AMO - F produziert. Im Mai 1929 kam es zur Unterzeichnung eines weiteren Vertrages, der die umfassende Modernisierung des Moskauer Autowerkes durch moderne amerikanische Fertigungstechnologie umfasste. Aus unbekannten Gründen erfüllten die Amerikaner aber ihre Verpflichtungen aus diesem Zusatzprotokoll nicht in vollem Umfang. Unter dem Direktor des Werkes "AMO", Lichatchov, konnten die Produktionsstraßen anhand der Originalpläne in sowjetischer Eigenleistung trotzdem aufgebaut werden.
Gleichzeitig begannen sowjetische Ingenieure, die amerikanischen Konstruktionsunterlagen der Fahrzeuge so zu verändern, dass sie den konkreten sowjetischen Bedingungen entsprachen. Dies führte dazu, dass mit Aufnahme der Produktion der Autocar - LKW 1930 aus zunächst gelieferten Bausätzen gleichzeitig modifizierte Teile eingebaut wurden. Das Ergebnis erhielt die Bezeichnung AMO - 2. Nach Beendigung der Modernisierung von Werk und Fahrzeug 1931 liefen die LKW unter der Bezeichnung AMO - 3 vom Band, der Anteil der Eigenfertigung hatte sich weiter erhöht. Im gleichen Jahr wurden die Moskauer Autowerke in "Stalinwerke" (ZIS) umbenannt. Dies hatte zunächst keine Auswirkungen auf die Typenbezeichnung, die weiter "AMO" hieß. Erst im Dezember 1933, mit dem offiziellen Start der Massenproduktion der LKW, wurden auf Beschluss des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) die Fahrzeugbezeichnungen in ZIS 5 ( 2 Achsen) und ZIS 6 (3 Achsen) umgeändert.
Das Faszinierende an den Fahrzeugen unter der Bezeichnung ZIS besteht für mich darin, dass es den sowjetischen Ingenieuren gelang, die Modifikationen so durchzuführen, dass auf der grundsoliden amerikanischen Basis ein Fahrzeug von 1930 bis zum Jahre 1965, also 35 Jahre lang, produziert worden ist. Dies dürfte in der Welt einmalig sein. Außerdem war die Grundkonstruktion so geschickt ausgewählt worden, dass sich das Basismodell mit einer Unzahl von Varianten bestücken ließ. Dies haben nicht einmal die Amerikaner mit dem GMC CCKW geschafft, der ebenfalls ein ziemlich großes Umbaupotential aufweist.
Basis für meine Modelle der Marke "ZIS" ist der Bausatz, der Anfang der 90er Jahre von der Firma "AER" aus Moldavien produziert worden ist. Heute ist der Grundbausatz unter dem Label "PST" zu erwerben. PST hat auch einige neue Sachen zum Grundbausatz produziert, die man nutzen kann. Obwohl der Bausatz heute nicht mehr den Ansprüchen des "gehobenen Modellbaus" der Zusammenkleber von fernöstlichen und anderen höchstentwickelten Bausätzen entspricht, bildet er doch eine sehr gute Basis für jemanden, der Modellbau noch in Handwerksarbeit betreibt.
Schwierig ist bei diesem Thema das Erwerben von entsprechenden Belegen für die Versionen der Fahrzeuge, die auf den Fahrgestellen der ZIS 5 bzw. 6 aufgebaut worden sind. Im Internet sind einige Quellen vorhanden, die aber vorrangig Fertigmodelle in 1:43 betreffen. Wobei einige Anbieter Fotos von Originalfahrzeugen veröffentlichen, die auch für den Maßstab 1:72 hilfreich sind. Zusammenfassende Literatur gibt es bisher nur in der Reihe "Tank Power" aus Polen und von einem namenlosen Verlag aus Kiew. Ansonsten muss man jede neue Veröffentlichung aus dem Osten, egal ob es Flugzeuge, Panzer oder Fahrzeuge betrifft, aufmerksam durchsehen, ob vielleicht ein Foto einer unbekannten Version zu sehen ist. Mit ein bisschen Fantasie und einem entsprechenden Blick für Maße können diese eine gute Grundlage für entsprechende Umbauten sein.
Thomas Heinicke, Prora