Bausatzhistorie: Interessanterweise war das Angebot an Bf 110-Kits bislang eigentlich immer recht begrenzt, oder wenn man es etwas positiver ausdrücken will, eher überschaubar. Selbst heute sind nicht gerade übermäßig viele Bausätze dieser zweimotorigen Maschine im 1/72-Maßstab erhältlich. Und das obwohl man aufgrund der vielen Variationen des Vorbilds, hervorgerufen durch die mannigfaltigen Aufgaben, die dieser Typ innerhalb der ehemaligen Luftwaffe zu erfüllen hatte, ein viel größeres Angebot an 110er-Modellen erwarten würde.
Die einzige Abhilfe besteht deshalb, zumindest meiner Meinung nach, sich auch mit den älteren Kits jenes berühmten Messerschmitt-Zerstörers zu befassen. Daher hat es mich auch sehr gefreut, als es mir in einem Internet-Auktionshaus gelang, das hier besprochene Exemplar der Fa. Matchbox günstig zu ergattern. Sicherlich werden Einige diesen nahezu 20 Jahre alten Baukasten, den es tatsächlich bereits seit den Mitsiebzigern des letzten Jahrhunderts gibt, von vornherein nicht besonders hoch einschätzen. Ich finde jedoch, dass auch er eine Chance verdient hat, hier vorgestellt zu werden. Zumal das aktuelle Revell-Modell in Wirklichkeit ein Monogram-Kit aus den Sechzigern - und somit noch viel älter - ist!
Doch begeben wir uns auf eine kleine Zeitreise in das Jahr 1975, als dieser Bausatz erstmals herauskam. Meiner Erinnerung nach dürfte er damals erst das vierte BF-110 Modell in diesem Maßstab überhaupt gewesen sein. Neben einer betagten Airfix Bf 110 C/D-Nachbildung sowie dem eben erwähnten (weit besseren) Monogram-Kit, gab es lediglich noch einen Nachtjäger der G2/G4-Reihe der Firma Frog. Die großen amerikanischen Firmen wie Revell und Lindberg habe es offenbar verpasst, ebenfalls Bausätze dieses verbreiteten Luftwaffen-Typs herauszubringen. Somit blieb es Matchbox überlassen, sein Sortiment an Luftwaffe-Kampfflugzeugen um diese bedeutende Maschine zu bereichern.
Das wenig später, 1976, die japanische Firma Fujimi ebenfalls ihre Chance ergriff und gleich mehrere „ultimativ gute“ Bausätze bereits in Recessed-Panel Technik herausbrachte, die selbst heute noch richtungweisend sind, war damals vielleicht nicht gerade absehbar, aber durchaus folgerichtig, insbesondere da der hier besprochene englische Kit aus dem Hause Lesney unerwartet (nur) in Raised-Panel-Bauweise konzipiert worden war. Die meisten andern Matchbox-Modell wiesen meist durchgehend negative Gravuren auf. Umso erstaunlicher ist, das Italeri selbst Anfang der 1990er noch mehrere Bausätze mit dieser Art Oberflächen-Detailierung schuf. Derzeit gibt es also lediglich zwei modern gestrickte Bausätze des typs, nämlich den aus Airfix‘ neuen Formen (in zwei Versionen aber mit Formfehlern) und jene nach wie vor äußerst schwer zu bekommende, weil sehr gesuchte Fujimi-Modelle.
Revell setzt bislang unbeirrt auf Monograms Bausatz, der übrigens einen Vergleich mit den jüngeren Italeri-Modellen nicht zu scheuen braucht, wenn man die Anzahl seiner vielen korrekt angebrachten Panel-Lines und Nietenreihen sowie auch aller ebenfalls notwendigen anderen positiven Gravuren vergleicht. Lediglich der Cockpitbereich und die Fahrwerke sind leider zu einfach ausgestaltet worden. Italeri hat ihre zwei ansehnlichen Modelle momentan gerade nicht im Programm und die Form schon vor Jahren an die tschechische Firma Bilek weitergegeben.
Bausatz: Auch dieser Matchbox-Kit ist ein typischer Vertreter jener Baukästen, wie sie die weltbekannte Spielzeug-Firma schuf, um den damaligen Markt, welcher seinerzeit noch sehr stark von überwiegend jugendlichen Käufern bestimmt wurde, in angemessener Weise versorgen zu können. Daher legte man damals verständlicherweise auch mehr Wert auf Attribute wie ein besonders attraktives Aussehen der Schachteln, die sogar ein kleines Fenster aus Zelluloid besaßen, wodurch man von außen einen Blick auf die mehrfarbigen Spritzlinge werfen konnte. Allein dadurch war das Design der Matchbox-Baukästen etwas Besonderes. Beim Deckelbild setzte man, wie auch alle anderen Anbieter, auf „in action“ Gemälde mit durchaus künstlerischem Wert. Was später bei der Bemalung der aus dem Schachtelinhalt zu erstellenden Maschine hilfreich war.
Betrachtete man dann allerdings die einzelnen verschiedenfarbigen Bauteile genauer, die laut Matchbox' Marketingstrategen auch ohne Bemalen ein dem dargestellten Vorbild ähnelndes Modell erbringen sollten, stellte man fest, dass es sich um eher einfach gestaltete Bausätze handelte. Diese waren zwar stets sauber, d.h. ohne Grat geschweige den Hautüberhängen an den Rändern, gespritzt, in Punkto Detaillierung aber den Mitbewerber auch nicht voraus.
Natürlich abgesehen davon, dass es sich dabei überwiegend um Modellen mit versenkten Gravuren handelte! Diese waren allerdings meist zu spärlich bzw. zaghaft in die Oberflächenstruktur einbezogen worden, so dass sie heute nur noch simpel oder schon primitiv wirken. Die Idee der farbigen Teile selbst führte zu einem skurrilen, eher spielzeughaft wirkenden Gesamteindruck, da dieses Merkmal technologisch niemals so weit verwirklicht werden konnte, als dass eine authentische Tarnbemalung entstehen könnte. Dieses Feature sorgt bei den meisten Modellbauern wahrscheinlich eher für mehr Probleme als für eine Erleichterung bei der Bemalung.
Erwartungsgemäß gibt es bei dieser Bf 110 neben einer angemessen hohen Teileanzahl keine außergewöhnlich ausgearbeiteten Einzelheiten. Zumindest damit ist ein zügiger und auch für Beginner unproblematischer Zusammenbau gewährleistet - eindeutig ein positives Merkmal. Die Detaillierung hält sich eher in Grenzen und bedauerlicherweise ist diese auch etwas gröber als beim alten Airfix-, dem immer noch passablen Monogramm- und selbstverständlich dem akkuraten Italeri/Bilek-Bausatz. Allerdings verzichtete man bei Matchbox auf Nietenreihen an den Blechstößen, von welchen es bei der ersten Airfix-Bf 110 nur so wimmelt. Mit Bedacht gewählte und korrekt platzierte Nieten können gute Modelle, wie jene von Monogram und Italeri, durchaus bereichern.
Die Passgenauigkeit ist vorbildlich und auch die Ausstattung mit mehreren Bomben und den abwerfbaren Zusatztanks lässt keine Wünsche offen. Die Decals sind erwartungsgemäß recht spartanisch bemessen und es gibt keinerlei zusätzliche Wartungs-Hinweise, -Markierungen oder -Symbole.
Die Bf-110-typische lange Kanzel ist sehr akkurat gespritzt und optisch ausreichend verzerrungsfrei ausgefallen. Allerdings weicht sie ganz hinten durch die Existenz einer mittigen Strebe von denen der Mitbewerber ab. Dies muss allerdings kein Fehler sein, sollte aber durch genaustes Studium aller verfügbaren Risszeichnungen der betreffenden Modellvarianten nachgeprüft werden. Die zwei seitlichen diagonalen Streben am hinteren Ende der abklappbaren Waffenstand-Verglasung wurden leider vergessen. In jedem Fall ist dieses Haube um Klassen besser als das primitive Klarsichtteil des alten Airfix-Bausatzes und wirkt aufgrund der erhabenen Streben auch weit vertrauter als der Monogram-Kit, der als einziges Manko lediglich aufgesetzte Linien an den Kanten bzw. Rändern der vielen Streben besitzt, womit diese nicht aus der Verglasung herausragen, was aber auch seinen Reiz hat da man dadurch weit dünnere und authentischere Materialstärken der Streben erzielen kann.
Matchbox' Motorgondel-Fronten ähneln vom Querschnitt eher denen von Italeri und weichen dadurch also von den sehr fein und filigran - womöglich vielleicht schon etwas zu zierlich ausgeformten - von Monogram/Revell ab. Zum Schluss sollte aber noch unbedingt der im Bausatz vorhandene, nach unten feuernde ferngelenkte Raketenwerfer RZ-65 erwähnt werden, den Matchbox damals wohl nur als eine Art Bonbon für all diejenigen Käufer beigefügt hat, die ihm mangelnde Detaillierung vorwarfen. Leider lässt sich über diese Bewaffnungs-Variante in der zahlreichen Literatur selten etwas finden, so dass wohl die Wenigsten eine Montage solch einer Waffe ins Auge fassen dürften, obwohl es Tests mit diesem sogenannten „Rauchzylinder“ an einer Bf 110 aber tatsächlich gegeben hat.
N. (Juli 2011)