Das Original: Die Überschrift "Das Original" ist an sich schon nicht korrekt, da dieser Schiffstyp der Knarr, Knorr oder auch Knorre genannt wird, keine standardisierte Konstruktion mit fixen Maßen darstellt. Archäologische Funde belegen unterschiedlich große Knarr-Schiffe, die aber viele gemeinsame Charakteristika aufweisen. Nach allgemeiner Auffassung waren Knarr-Schiffe das Handelsschiff-Pendant zum kriegerischen Langschiff.
Die Knarr war robuster, hochwandiger, kürzer und völliger als das Langschiff. Um viel Fracht mitnehmen zu können, hatten diese Schiffe auch einen größeren Tiefgang. Rekonstruktionen zeigen stark zurück gebogene Steven und wegen der rundlichen Bug und Heckpartien spricht man auch von "knarrbusig". Frachtmengen mit bis zu 40 Tonnen Gewicht konnten mit einer großen Knarr, wie der in Haithabu gefundenen (Haithabu III), transportiert werden. Die Knarr wurde generell gesegelt und wohl nur beim Aus- und Einlaufen mit wenigen Riemen gerudert. Für die räumliche Expansion der sog. Wikinger und den nordischen Seehandel des 9. Jahrhunderts hatte sie wohl die gleiche Bedeutung wie später die Kogge im Hochmittelalter.
Das Modell: Endlich! Nach dem "schwachen" als Knarr bezeichneten Modell von Medievalmodelships und den bislang ungehört gebliebenen Rufen nach einem Spritzgussbausatz, gibt es nun endlich einen Resinbausatz dieses bedeutsamen, frühmittelalterlichen Schiffstyps, der sehr viel Gutes in sich vereinigt.
Michael Cremerius startet mit diesem Wasserlinienmodell einer Knarr, Knorr oder Knorre eine Serie von Wasserfahrzeugen, die speziell für den Dioramenbau gedacht sind. Weitere Modelle von früh- bzw. hochmittelalterlichen Booten sind bereits in Planung oder sogar schon in der Entwicklung. Das vorliegende Modell ähnelt stark einer segelfähigen Rekonstruktion, die in Roskilde zu Hause ist.
Das Modell besteht im Wesentlichen aus einem in einem Stück gegossenen Rumpf, dessen Frachtraum aufgrund der Machart als Wasserlinienmodell natürlich nicht die korrekte Tiefe aufweisen kann. Ein Teil dieses Frachtraumes ist bereits generell mit ordentlich aufgereihten "Paketen" beladen, auf denen noch zwei einzelne "Pakete" sowie ein hingeworfenes Netz liegen. Der größere Frachtbereich weist keinerlei Planken- oder Spantenstrukturen auf (geht ja nicht wegen Wasserlinie!) und kann mit mitgelieferten Fässern beladen werden, die diesen glatten Boden komplett abdecken, so dass man hier auch keine Plankenstrukturen vermisst. Die 19 Fässer sind in 5 Reihen zu je drei Fässern und in vier Einzelfässer aufgeteilt. Wer andersartiges Ladegut einladen möchte, hat hier freie Hand. Ein einzelner Rundschild, sowie ein Anker mit Kette gehört auch noch zum Lieferumfang.
In das Bootsinnere wird ein Rahmen eingesetzt, der die Bordwandverstärkung sowie die Querverstrebung des Rumpfes darstellt. Wie bei Kleinserienmodellen nicht zu vermeiden, ist hier ein wenig Feinjustierung notwendig, was aber keine Hürde darstellt.
Der Mast und die segellose Rah sind mit einem eingegossenen Draht verstärkt. Super! Die Rah mit dem angegossenen, teilgerefften Segel benötigt diese Strukturverstärkung nicht.
Das zweiteilige Ruder vervollständigt die Konstruktion des Rumpfes. Wer will kann hier noch den "Knopf" der Ruderbefestigung ergänzen.
Der Bausatz beinhaltet eine Rah ohne Segel, an der man dann ein eigenes Segel anschlagen kann, sowie eine Rah mit einem anmodellierten, locker gepackten Segel. Manch einer wird dies nicht mögen, andere werden sicher froh sein, nicht selber Hand anlegen zu müssen, zumal die Darstellung des gerefften Segels wirklich ganz gut aussieht. Wer ein Stoffsegel bevorzugt, muss jedenfalls nicht loslaufen und nach einem passenden Stoff suchen, denn das beiliegende Stoffstück ist für diesen Zweck gut geeignet.
Wenn es was zu kritisieren gibt, dann betrifft dies salopp gesprochen "alles was man zum Segeln braucht". Dieser Bereich hätte etwas besser recherchiert werden können. Grundsätzlich erwarteten den Modellbauer aber auch hier keine unüberwindbaren Hindernisse, wenn er sich ein wenig mit dem Thema beschäftigt. Dem Mast fehlt eine Bohrung zur Durchführung des Rahfalls. Diese anzubringen könnte etwas problematisch werden, da ja ein Draht mit eingegossen wurde um den Mast zu stabilisieren. Desweiteren fehlt ihm eine Aufdickung oder alternativ eine starke Verjüngung bzw. Stufe kurz unterhalb der Mastspitze, die benötigt wurde, damit die Schlaufen der Stage und Wanten nicht nach unten abglitten. So eine Aufdickung kann aber schnell mit etwas Modelliermasse ergänzt werden. Man kann aber auch einen neuen Mast aus Holz basteln.
Wie die Rah am Mast befestigt werden soll, darüber schweigt sich der Bauplan leider ebenso aus, wie über die Befestigung der Wanten. Die richtige Art und Weise kann aber relativ leicht in Fachbüchern oder im Internet recherchiert werden. Für das Rahfall werden zwei kleine Blöcke mitgeliefert. Die wikingertypischen Jungfern fehlen aber leider ebenso, wie einige weitere Blöcke für das laufende Gut. Dafür gibt es aber die "Hörner", die als Wantenspanner dienten. Diese konnten beim Original aus Holz oder auch tatsächlich aus Hirschhorn gefertigt sein.
Des Weiteren fehlt der so genannte Beitass und die beiden Holzklötze, die im Rumpf als Widerlager für den Beitass dienten. Der Beitass war eine Stange, mit der das Segel versteift werden konnte, um höher am Wind segeln zu können und gehörte wohl zur grundsätzlichen Ausstattung jedes grösseren Wikingerschiffes. Das Modell des Gokstad-Schiffes von Emhar weist die beiden Holzklötze mit ihren zwei Mulden übrigens auch auf!
Leider fehlen auch einige Riemen, die benötigt wurden, um die Knarr bei Flaute oder beim An- und Ablegen zu rudern. Diese sollen aber, aufgrund meines Hinweises, in einer weiteren Produktionsserie ergänzt werden. Ansonsten kann man sicher auch leicht ein paar Riemen selber herstellen oder aus einem anderen Bausatz "entleihen".
Fazit: Die Knarr von Germania ist einwandfrei gegossen, gut detailliert und der Bau sollte keinen Modellbauer vor irgendwelche unlösbaren Probleme stellen. Natürlich macht der Bau einige Nacharbeit an den Resinteilen erforderlich, aber das ist ja bei nahezu jedem Kleinserienmodell so.
Das Fehlen der Riemen und die Defizite bei der Takelage sind, bei dem ansonsten einwandfreien Bausatz, etwas schade, aber auch kein echtes Problem. Etwas Raum für Eigenleistung gibt es ja schliesslich an jedem Modell und freiverfügbare Quellen zur Takelung von Wikingerschiffen gibt es reichlich, nicht zuletzt Dank der diversen Rekonstruktionen, von denen es ja genügend Fotos gibt.
Die Einsatzmöglichkeiten des Modells im Dioramenbau sind vielfältig. Ob segelnd auf hoher See, gerudert beim An- oder Ablegen oder am Anleger beim Be- oder Entladen: die Knarr wird immer eine gute Figur machen! Der Preis ist absolut angemessen und trotz einiger Kritikpunkte halte ich das Modell für uneingeschränkt empfehlenswert.
Olaf Krabbenhöft, Hamburg (September 2014)
Wir danken Germania-Figuren für das Besprechungsmuster.