Airfix' Ju 88 ist mittlerweile ein über mehreren Generationen von Plastikmodelbauern bekannter Klassiker. Schon diese Eigenschaft allein gestattet es dem englischen Traditionsunternehmen wohl diesen Raised-Panel-Bausatz immer wieder neu aufzulegen. Allerdings sollte man fairerweise anmerken, dass er unter den anderen Ju 88-Kits, wie man sie seinerzeit in diesem Maßstab bekam - also den Bausätzen von Revell, Frog und Lindberg - höchst wahrscheinlich noch der beste war. Vor allem sein einigermaßen vollständiger Cockpitbereich, sowie die relativ feinen erhabenen Nietenreihen und natürlich solche Details wie überhaupt vorhandene Sturzflugbremsgitter stützen diese Einschätzung.
Auch der bloße Einzelteile-Umfang (125!), ist zweifelsohne für solch ein betagtes Produkt erstaunlich hoch. Obgleich von dieser Zahl ein gewisser Teil auf die beweglichen Ruderflächen, die ja aus weiteren Einzelteilen montiert werden müssen, entfällt. Außerdem bestehen bei diesem Airfix-Bausatz auch die Räder des Hauptfahrwerks aufgrund separater Felgen, jeweils aus vier Teilen! Als weitere Besonderheit wären noch die jeweils als zusätzliche Teile beiliegenden hinteren Fahrwerksklappen, die es nicht einmal bei Italeri gibt, anzuführen.
Die restliche Grundkonzeption bzw. Einzelteil-Aufteilung ist allerdings als vollkommen konventionell einzustufen. Die Montage der Bola gleicht nahezu vollständig derjenigen des etwas jüngeren Revell-Modell Art.-Nr 04130, wobei man auf der britischen Insel unbegreiflicherweise die zwei Klarsichtteile für die vorderen und mittleren lukenartigen Fenster im Boden der Bodenwanne eingespart hat, welche beim (alten) Ju 88-Kit aus Bünde vorhanden waren. Dafür gibt es bei Airfix eine Landescheinwerferverglasung. Bei beiden Bausätzen fehlt aber ein Bodenfenster auf der rechten Seite, welches direkt an die aus den vielen einzelnen Scheiben bestehende Glasfront am Rumpfboden bündig anschloss. Womit wir auch gleich beim größten Manko des englischen Veterans wären.
Die Klarsichteile sind bei diesem Kit extrem schlecht ausgeformt, da sich leider durchgehend keinerlei erhaben Streben an den drei Cockpitverglasungs-Einzelteilen finden lassen. Der Verlauf der einzelnen Scheiben auf den Glasbaustein-artig verzerrenden Klarsichteilen läst sich nur schwer erahnen. Von diesem ärgerlichen, aber bei so einer alten Gussform nicht unbedingt überraschenden Minus abgesehen, wäre der Rest vom bislang einzigen Airfix Ju 88-Bausatz in 1/72 ganz passabel, gäbe es als kleinen Wermutstropfen nicht die auf der Tragflächenoberseite etwas unnaturgetreu, da etwas kantig, dargestellten Motorgondelnachbildungen. Diese lassen sich leider nicht ohne großen Aufwand abrunden.
Die am separaten Seitenruder vorhandene, das Ausgleichsgewicht repräsentierende, kleine Verlängerung der Ruderfläche ist ebenfalls etwas problematisch, entspricht sie doch eindeutig der A-4-Baureihe, während aber der Rest des Bombers viel mehr an ein A-5-Flugzeug erinnert. Wofür nicht nur die fehlenden, ausgebeulten Verkleidungen der Lader am Boden der Triebwerksgondeln sprechen (die bei Revell ausgebildet waren), sondern auch das im unteren Bugbereich eingebaute MG 131 und schließlich auch noch die eher als "schmal" zu bezeichnenden Propellerblätter, welche eher auf VDM-Luftschrauben -Nachbildungen schließen lassen, die für die Ju88A-5 typisch waren. Airfix hat für diese zumindest separate Spinner beigefügt.
Aufgrund des äußerst undeutlich angedeuteten Verstrebungsmuster lässt sich die Kanzel anschließend zwar problemlos wahlweise in A-5 oder A-4-Ausführung bemalen, die zwei A-4 typischen kuppelförmigen Verbreitungen an den Seiten im Heck der Verglasung sind allerdings nicht zu erkennen. Neben all diesen Abweichungen wartet der Bausatz auch noch mit vom Durchmesser zu klein geratene Fahrwerkräder ohne Oberflächendetails auf.
Schließlich wird der Käufer aber durch das solide Cockpitinnere versöhnt, welches für damalige Verhältnisse als vorbildlich gelten kann. Abgesehen von einer nur aus einem Oberkörper bestehenden Besatzungsmitglied-Figur gibt es passable Mumiensitze, eine Rückwand mit aufgesetzten Quadern d.h. also Funkgeräte-Nachbildungen, ein Instrumentenbrett und auch noch einen Fußboden mit weitgehend stimmigen Aussparungen. Dies gilt heute freilich nur als ein Minimum, ist bei all den Mitbewerbern aber mehr oder minder vergeblich zu suchen. Selbst ein liegender Schütze für die Bola wurde vom großen englischen Anbieter nicht vergessen, obwohl man ihn später wohl kaum durch das optisch stark verzerrende Heckfenster der Wanne erkennen kann.
Nichtsdestotrotz schlägt das Bewertungspendel aufgrund dieser Details schon mehr in Richtung empfehlenswert, da unter Anderem auch die Fahrwerksbeine überraschend detailgetreu ausgeformt wurden, wenn auch das korrekte Anbringen der schrägen Streben aus der Bauanleitung nur schwer ersichtlich ist. Abschließend kann die aktuelle Ausgabe mit ihren zeitgemäßen und reichhaltigen Abziehbildern in der handlichen roten Verpackung und dem sehr attraktiven neuen Deckelbild, sicherlich Jedermann für diesen klassischen Kit begeistern. Auch der Preis ist annehmbar und die Passgenauigkeit ist als hinreichend zu bewerten. Leider weisen die Spritzlinge relativ viel Gussgrat und/oder überstehende Gusshaut auf. Auch ein leichter Versatz sowie Einsinkstellen zeugen von einer äußerst bescheidenen Qualität der Abspritzung bzw. Aufarbeitung der Form vor dem Gussprozess (sicher hat das Werkzeug über die Jahre stark gelitten).
Trotzdem fällt das abschließende Fazit gerade noch positiv aus, wenn man auch keine großen Erwartungen an diese Neuauflage stellen sollte. Diieser Bausatz wird erschwerenderweise wahrscheinlich auch bei weiten nicht so häufig in den Regalen anzutreffen sein, wie es in der Blütezeit des Plastikmodellbaus der Fall war, als es überall nur so von Airfix Bausätzen wimmelte. Davon abgesehen dürfte dieser Kit sowieso spätestens bei Markteinführung der neuen Ju 88 aus Bünde einen sehr schweren Stand haben. Mit dieser wird er keinesfalls mithalten können. Airfix hat in jüngste Vergangenheit eindeutig gezeigt, das man durchaus in der Lage ist schöne Bausätze (aus neuen Formen) herauszubringen, die vollkommen auf Höhe der Zeit sind. Vielleicht ist es also mal an der Zeit sich auf eine neue 88er aus England zu freuen? Wenn man den besprochen Kit "gebraucht" für nicht viel Geld ergattern kann, hat man auf jeden Fall ein gutes Einstiegsmodell, wenn vielleicht nicht sogar schon eine bescheidene Alternative zu Italeri.
N. (Februar 2011)
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